Kündigung der Krankenversicherung – und die Kenntnis der versicherten Person

1. Unter Geltung des § 207 Abs. 2 Satz 2 VVG hat der Versicherungsnehmer ebenso wie nach der früheren Regelung des § 178n Abs. 2 Satz 2 VVG den Nachweis zu erbringen, dass die versicherte Person von der Kündigung Kenntnis erlangt hat. Damit übereinstimmende Bestimmungen in Allgemeinen Versicherungsbedingun-gen benachteiligen den Versicherungsnehmer nicht unangemessen i.S. von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Der Versicherer ist nach Treu und Glauben verpflichtet, den Versicherungsnehmer darauf hinzuweisen, dass eine von diesem erklärte Kündigung mangels Nachweises der Kenntnis der versicherten Person unwirksam ist.

Der Versicherungsnehmer muss nach § 13 Abs. 10 Satz 3 AVB/KK 2009 gegenüber der Verischerungsgesellschaft spätestens zum Ablauf der Kündigungsfrist nachweisen, dass die mitversicherten Personen – hier: die beiden versicherten Töchter – von der Kündigungserklärung Kenntnis erlangt haben.

Diese Klausel ist nicht überraschend i.S. von § 305c Abs. 1 BGB.

Überraschend ist eine Klausel nur, wenn sie eine Regelung enthält, die von den Erwartungen des typischerweise damit konfrontierten Versicherungsnehmers in einer Art und Weise deutlich abweicht, mit der er nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht1. Der ungewöhnliche äußere Zuschnitt einer Klausel und ihre Unterbringung an unerwarteter Stelle können die Bestimmung zu einer ungewöhnlichen und damit überraschenden Klausel machen2. Dabei kommt es allerdings nicht darauf an, an welcher Stelle des Klauselwerks die entsprechende Klausel steht, weil alle Bestimmungen grundsätzlich gleich bedeutsam sind und nicht durch die Platzierung einer Vorschrift im Klauselwerk auf deren Bedeutung geschlossen werden kann. Aus der Stellung der Klausel kann sich ein Überraschungseffekt vielmehr dann ergeben, wenn diese in einem systematischen Zusammenhang steht, in dem der Vertragspartner sie nicht zu erwarten braucht3. Das kann der Fall sein, wenn sie im Vertragstext falsch eingeordnet und dadurch geradezu „versteckt“ ist4.

Die streitgegenständliche Klausel ist nicht an einer Stelle untergebracht, an der ein betroffener Versicherungsnehmer sie nicht erwartet. Die Beklagte rügt ohne Erfolg, die eigentlichen Kündigungsvoraussetzungen seien in § 13 Abs. 1 bis 5 AVB/KK geregelt, während die fragliche Nachweisverpflichtung inmitten reiner Abwicklungsvorschriften nach wirksamer Kündigung versteckt sei. § 13 Abs. 10 AVB/KK erfasst anders als die vorhergehenden Absätze nicht sämtliche Versicherungsverhältnisse, sondern betrifft den Sonderfall, dass der Versicherungsnehmer das Versicherungsverhältnis nicht für sich, sondern für andere versicherte Personen kündigt. Angesichts dieser Besonderheit erscheint es eher sachgerecht, die betreffenden Regelungen an den Schluss des § 13 AVB/KK zu setzen. Zudem kann von einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer erwartet werden, dass er die gesamten das Versicherungsende durch Kündigung des Versicherungsnehmers betreffenden Bestimmungen zur Kenntnis nimmt und auf besondere Voraussetzungen achtet, die zu erfüllen sind, wenn ein Versicherungsvertrag für andere versicherte Personen gekündigt wird.

Die Regelung in § 13 Abs. 10 Satz 3 AVB/KK ist nicht unklar i.S. von § 305c Abs. 2 BGB.

Die Unklarheitenregel kommt nur zur Anwendung, wenn nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Auslegungsmethoden Zweifel verbleiben und mindestens zwei Auslegungsmöglichkeiten rechtlich vertretbar sind5

Die in Rede stehende Klausel kann aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers nicht wie aber die Revision meint auch so verstanden werden, dass es sich bei dem verlangten Nachweis um eine auf den Kündigungszeitpunkt rückwirkende Bedingung handelt, die auch nachträglich noch erfüllt werden kann. Ob der notwendige Nachweis der Kenntnis der versicherten Person bis zum Wirksamwerden der Kündigung oder bei fristgebundenen Kündigungen nur bis zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist erbracht werden kann, war schon zu § 178n Abs. 2 Satz 2 VVG a.F. streitig und wird auch zu § 207 Abs. 2 Satz 2 VVG unterschiedlich gesehen6. Selbst wenn es nach dem einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbaren Sinn und Zweck der Klausel ausreichend sein mag, dass er etwa auf Anfrage des Versicherers den Nachweis der Kenntnis nach der Kündigungserklärung erbringt, wird er dies bei verständiger Würdigung laienhaft nicht so verstehen, dass der Nachweis Bedingungscharakter hat und noch lange Zeit nach Ausspruch der Kündigungserklärung und dem Ablauf der Kündigungsfrist erbracht werden kann. Vielmehr wird er annehmen, dass er den Nachweis spätestens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist dem Versicherer vorlegen muss.

§ 13 Abs. 10 Satz 3 AVB/KK hält einer Inhaltskontrolle stand. Die Bestimmung benachteiligt den Versicherungsnehmer nicht unangemessen i.S. von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Die Regelung ist nicht gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unvereinbar mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung des § 207 Abs. 2 Satz 2 VVG.

Zwar verlangt diese Vorschrift ihrem Wortlaut nach nur, dass die versicherte Person Kenntnis von der Kündigung erlangt haben muss. Die fragliche Klausel stellt eine über diesen Wortlaut hinausgehende Voraussetzung auf, indem sie dem Versicherungsnehmer den Nachweis dieser Kenntnis abverlangt. Einen solchen Nachweis muss der Versicherungsnehmer jedoch auch ohne ausdrückliche Regelung erbringen, wenn er sich auf die Wirksamkeit einer von ihm ausgesprochenen Kündigung berufen will. Die Kenntnis der versicherten Person ist nach dem klaren Wortlaut des § 207 Abs. 2 Satz 2 VVG tatbestandlich konstitutiv für die Wirksamkeit der Kündigung. Da dieser Umstand in der Sphäre des Versicherungsnehmers liegt, muss er im Streitfall die Kenntnis der versicherten Person nachweisen, um seiner Kündigung zum Erfolg zu verhelfen7. Dabei muss der Nachweis nicht den zivilprozessualen Beweisanforderungen genügen. Vielmehr reicht die Beibringung eines nachvollziehbaren Belegs, etwa die Mitunterzeichnung der Kündigung durch die versicherte Person8, notfalls ein Einschreibbeleg, aus dem sich die Übermittlung einer Abschrift der Kündigung an den Versicherten ergibt.

Außerdem sind durch die Neufassung in § 207 Abs. 2 Satz 2 VVG die gesetzlichen Voraussetzungen, die der Versicherungsnehmer in Bezug auf die Kenntnis der versicherten Person erfüllen muss, im Vergleich zu der früheren Regelung des § 178n Abs. 2 Satz 2 VVG nicht geändert worden. Diese forderte ausdrücklich den Nachweis des Versicherungsnehmers, dass die versicherte Person Kenntnis von der Kündigung erlangt habe. Ein solcher Nachweis ist auch nach neuem Recht vom Versicherungsnehmer zu erbringen9. Gegen eine inhaltliche Änderung sprechen bereits die Gesetzesmaterialien. Die Reformkommission sah keinen Änderungsbedarf und schlug vor, die Regelung des § 178n VVG a.F. unverändert in § 200 VVGE zu übernehmen10. Ebenso ging die Bundesregierung in der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 207 VVG davon aus, dass die Sätze 1 und 2 des § 207 Abs. 2 „inhaltlich mit § 178n Abs. 2“ übereinstimmten11. Da der Gesetzgeber die bisherige Rechtslage nicht ändern wollte, kann die etwas abweichende Formulierung in § 207 VVG n.F. nicht zu einer inhaltlichen Änderung führen, zumal wie dargelegt der Versicherungsnehmer die Kenntnis der versicherten Person ohnehin belegen muss. Die mit § 178n Abs. 2 Satz 2 VVG a.F. übereinstimmenden Regelungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen wie hier § 13 Abs. 10 Satz 3 AVB/KK sind mithin durch die Neufassung in § 207 Abs. 2 Satz 2 VVG nicht gesetzeswidrig geworden.

Die streitgegenständliche Klausel verstößt schließlich nicht gegen das Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Dieses verlangt vom Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen, dass die Rechte und Pflichten des Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar dargestellt sind und die Klauseln darüber hinaus die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann12

§ 13 Abs. 10 Satz 3 AVB/KK ist klar gefasst und für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich formuliert. Er kann aus dem Wortlaut entnehmen, dass er nachweisen muss, dass die betroffene versicherte Person von der Kündigungserklärung Kenntnis erlangt hat. Nähere Erklärungen dazu, wie dieser Nachweis erbracht werden kann und zu welchem Zeitpunkt die Kenntnis der versicherten Person vorgelegen haben muss, erwartet der Versicherungsnehmer nicht. Die Formulierung, dass die versicherte Person von der Kündigungserklärung Kenntnis erlangt hat, kann er so verstehen, dass diese Kenntnis zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung gegenüber dem Versicherer bestanden haben muss. Als letzten möglichen Zeitpunkt für den Nachweis wird der Versicherungsnehmer auch ohne Erläuterung spätestens den Ablauf der Kündigungsfrist zugrunde legen.

Der Nachweis der Kenntnis der versicherten Person ist Wirksamkeitsvoraussetzung und muss bei einer fristgebundenen Kündigung jedenfalls zum Ablauf der Kündigungsfrist erbracht sein13.

Zwar ist der Versicherer nicht zur Zurückweisung der Kündigung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer den Nachweis der Kenntnis des Dritten nicht mit der Kündigung vorlegt14. Die von § 207 Abs. 2 Satz 2 VVG geforderte Kenntnis der versicherten Person dient deren Schutz15. Dieser Schutzgedanke hat Vorrang vor dem Interesse des Versicherungsnehmers an der Beendigung des Versicherungsverhältnisses und darf nicht über eine Zurückweisungspflicht unterlaufen werden.

Allerdings ist der Versicherer nach Treu und Glauben verpflichtet, den Versicherungsnehmer darauf hinzuweisen, dass eine von ihm erklärte Kündigung mangels Nachweises der Kenntnis der versicherten Person unwirksam ist16. Damit erhält der Versicherungsnehmer die Gelegenheit, die Kenntnis der versicherten Person spätestens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nachzuweisen. Dabei wird das Schutzbedürfnis der versicherten Person nicht über Treu und Glauben unterlaufen, sondern gewahrt. Ein derartiger Hinweis ist dem Versicherer, der die besonderen Voraussetzungen der Kündigung einer für Dritte genommenen Krankheitskostenversicherung regelmäßig besser kennt als der Versicherungsnehmer, ohne größeren Aufwand und ohne besondere Förmlichkeiten möglich und beeinträchtigt seine Interessen nicht. Unterlässt er einen gebotenen Hinweis, kann er unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht gegenüber dem Versicherungsnehmer schadensersatzpflichtig sein17.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. Januar 2013 – IV ZR 94/11

  1. BGH, Urteile vom 21.07.2011 IV ZR 42/10, VersR 2011, 1257 Rn. 16; vom 30.09.2009 IV ZR 47/09, VersR 2009, 1622 Rn. 13 m.w.N.[]
  2. BGH, Urteile vom 26.07.2012 VII ZR 262/11, NJW-RR 2012, 1261 Rn. 10; vom 21.07.2010 XII ZR 189/08, NJW 2010, 3152 Rn. 27; jeweils m.w.N.[]
  3. BGH, Urteile vom 21.07.2010 aaO; vom 09.12.2009 XII ZR 109/08, BGHZ 183, 299 Rn. 16 f.[]
  4. BGH, Urteil vom 21.07.2011 aaO[]
  5. BGH, Urteile vom 06.12.2011 XI ZR 442/10, juris Rn. 30; vom 04.07.1990 VIII ZR 288/89, BGHZ 112, 65, 68 f.; jeweils m.w.N.[]
  6. vgl. einerseits Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 178n Rn. 11; Voit in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 207 Rn. 15; andererseits MünchKomm-VVG/Hütt, § 207 Rn. 17[]
  7. HKVVG/Rogler, 2. Aufl. § 207 VVG Rn. 39; MünchKomm-VVG/Hütt § 207 Rn. 17[]
  8. Reinhardt in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 205 Rn. 21, § 207 Rn. 9[]
  9. so auch MünchKomm-VVG/Hütt, § 207 VVG Rn. 16; Reinhard in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 205 VVG Rn. 21, § 207 VVG Rn. 9; a.A. HKVVG/Rogler, 2. Aufl. § 13 MB/KK 2009 Rn. 4[]
  10. Abschlussbericht der VVGKommission vom 19.04.2004 Abschnitt 2.1 S. 275, Abschnitt 3.1 S. 415[]
  11. Begründung des Gesetzentwurfs zum Versicherungsvertragsreformgesetz BT-Drucks. 16/3945 S. 114[]
  12. BGH, Urteile vom 11.07.2012 IV ZR 164/11, VersR 2012, 1237 Rn. 40; vom 20.06.2012 IV ZR 39/11, VersR 2012, 1113 Rn. 21; BGH, Urteil vom 18.07.2012 VIII ZR 337/11, ZIP 2012, 2064 Rn. 41; jeweils m.w.N.[]
  13. vgl. MünchKomm-VVG/Hütt, § 207 Rn. 17; Prölss/Martin/Voit, VVG 28. Aufl. § 207 Rn. 15[]
  14. vgl. OLG Karlsruhe VersR 2002, 1497[]
  15. vgl. Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 178n VVG Rn. 12; Reinhard in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 205 VVG Rn. 21; § 207 VVG Rn. 9[]
  16. Reinhard in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 205 VVG Rn. 21, § 207 Rn. 9[]
  17. Reinhard in Looschelders/Pohlmann aaO[]